Impulse für einen anderen Blick auf Organisationen - Teil 2
Die drei Gesichter von Organisationen: Warum Formalität, Informalität und Fassade unser Arbeiten prägen
Wenn wir an Organisationen denken, kommen uns oft zuerst die klassischen Dinge in den Kopf: Organigramme, Jobtitel, Prozesse, Regeln – eben all das, was sichtbar und messbar ist. Doch wer in einer Organisation arbeitet, weiß: Das ist nur die halbe Wahrheit. Hinter den offiziellen Strukturen verbirgt sich eine Welt von inoffiziellen Netzwerken, persönlichen Beziehungen und unausgesprochenen Regeln. Und dann gibt es da noch das Bild, das die Organisation nach außen hin zeigt – das Leitbild auf der Website, die Hochglanzbroschüre oder der große Wert auf „Innovation“ und „Offenheit“, der sich in der täglichen Arbeit aber nicht immer widerspiegelt.
Um zu verstehen, wie Organisationen wirklich "ticken", lohnt es sich, diese drei Seiten genauer anzuschauen: die formale Seite, die informale Seite und die Schauseite. Sie beeinflussen nicht nur, wie Entscheidungen getroffen werden, sondern auch, wie sich Mitarbeitende fühlen, wie gut Teams zusammenarbeiten – und ob eine Organisation langfristig erfolgreich ist.
1. Die formale Seite: Das sichtbare Gerüst der Organisation
Die formale Seite ist das, was wir in Stellenbeschreibungen, Handbüchern oder Prozessdiagrammen finden. Sie umfasst alle offiziellen Regeln, Strukturen und Abläufe, die dafür sorgen sollen, dass der Laden läuft. Wer berichtet an wen? Welche Verantwortlichkeiten hat wer? Welche Prozesse müssen eingehalten werden?
Formale Strukturen regeln:
- Hierarchien und Rollen: Wer darf was entscheiden? Wer ist für welche Aufgaben verantwortlich?
- Prozesse und Vorschriften: Wie laufen Projekte ab? Welche Abläufe sind festgelegt?
- Regeln und Programme: Welche Standards und Richtlinien müssen eingehalten werden?
Diese Strukturen geben Orientierung und schaffen Verlässlichkeit. Sie helfen uns zu wissen, woran wir sind, und machen Organisationen effizient. Aber – und das kennen viele von uns aus eigener Erfahrung – zu viel Formalität kann auch lähmen. Wenn jeder Schritt durch ein Regelwerk bestimmt wird und kein Raum für eigene Entscheidungen bleibt, fühlen sich Mitarbeitende schnell eingeengt. Innovation und Flexibilität bleiben dann oft auf der Strecke.
2. Die informale Seite: Das unsichtbare Netzwerk hinter den Kulissen
Doch Organisationen bestehen nicht nur aus Regeln und Strukturen. Hinter der formalen Fassade gibt es die informale Seite – die Netzwerke, Beziehungen und unausgesprochenen Regeln, die den Alltag prägen. Das sind die Gespräche in der Kaffeeküche, die Absprachen zwischen Kollegen, die nicht im Protokoll stehen, und die Machtverhältnisse, die nicht im Organigramm auftauchen.
Zur informalen Seite gehören:
- Persönliche Netzwerke: Wer kennt wen? Wer hat Einfluss, auch wenn es nicht auf dem Papier steht?
- Ungeschriebene Regeln: Wie läuft der Hase hier wirklich? Was wird offen gesagt, und was lieber verschwiegen?
- Kulturelle Dynamiken: Vertrauen, Sympathien, aber auch Rivalitäten und Konflikte, die das Miteinander beeinflussen.
Die informale Seite ist oft der Ort, an dem die eigentliche Arbeit passiert. Hier entstehen kreative Ideen, Probleme werden pragmatisch gelöst, und Informationen fließen abseits der offiziellen Wege. Aber: Informale Strukturen können auch problematisch sein. Wenn die richtigen Netzwerke wichtiger sind als Kompetenz, kann das zu Frustration führen. Und wenn informelle Machtstrukturen die offiziellen Entscheidungen unterlaufen, leidet die Glaubwürdigkeit der Führung.
3. Die Schauseite: Das Gesicht der Organisation nach außen
Neben der formalen und informalen Seite gibt es noch die Schauseite – das Bild, das eine Organisation nach außen zeigt. Das ist das Leitbild auf der Website, die Hochglanzbroschüre, die Werbekampagne, die die Firma als besonders innovativ oder nachhaltig präsentiert. Aber auch nach innen wird eine Schauseite aufgebaut: Die Kultur, die offiziell kommuniziert wird, die Werte, die in Mitarbeiterhandbüchern stehen oder bei Townhall-Meetings betont werden.
Typisch für die Schauseite sind:
- Corporate Identity und Leitbilder: Die offiziell kommunizierten Werte und Prinzipien – „Wir sind innovativ“, „Unsere Mitarbeitenden stehen im Mittelpunkt“, „Wir handeln nachhaltig“.
- Image und Außendarstellung: Wie präsentiert sich das Unternehmen gegenüber Kunden, Partnern oder Investoren?
- Symbolische Handlungen: Charity-Events, Preise, interne Veranstaltungen, die ein bestimmtes Bild vermitteln sollen.
Die Schauseite ist wichtig, weil sie Vertrauen schafft – bei Kunden, Investoren und auch bei den Mitarbeitenden. Sie hilft, eine gemeinsame Identität zu stiften. Aber sie wird dann zum Problem, wenn sie nicht mit der Realität übereinstimmt. Wenn im Leitbild von „offener Kommunikation“ gesprochen wird, aber Mitarbeitende wissen, dass Kritik nicht erwünscht ist, entsteht Zynismus. Und wenn ein Unternehmen sich als nachhaltig inszeniert, aber intern anders handelt, verliert es nicht nur an Glaubwürdigkeit, sondern riskiert auch das Vertrauen der Öffentlichkeit.
Das Zusammenspiel der drei Seiten: Die Kunst der Balance
Keine Organisation funktioniert, wenn sie sich nur auf eine dieser Seiten konzentriert. Die formale Seite gibt Struktur, die informale Seite bringt Flexibilität, und die Schauseite sorgt für Identität und Außenwirkung. Das Problem entsteht, wenn diese drei Seiten auseinanderdriften.
- Formale und informale Seite müssen zusammenpassen:
Die besten Prozesse und Regeln bringen nichts, wenn sie nicht von den informellen Netzwerken unterstützt werden. Umgekehrt kann eine starke informale Kultur ohne klare formale Strukturen ins Chaos führen. - Die Schauseite muss authentisch sein:
Leitbilder und Werte sollten nicht nur auf dem Papier existieren, sondern tatsächlich im Alltag gelebt werden. Wenn das, was die Organisation nach außen zeigt, nicht mit der internen Realität übereinstimmt, führt das zu Misstrauen – sowohl intern als auch extern. - Vertrauen entsteht durch Kohärenz:
Mitarbeitende vertrauen einer Organisation, wenn sie sehen, dass das, was gesagt wird, auch tatsächlich gelebt wird. Kunden und Partner vertrauen Unternehmen, die nicht nur Versprechungen machen, sondern diese auch einhalten.
Organisationen sind mehr als die Summe ihrer Regeln
Organisationen sind komplexe Systeme, die aus mehr bestehen als nur aus Regeln, Prozessen und Hierarchien. Die formale Seite sorgt für Struktur und Stabilität, die informale Seite bringt Flexibilität und Innovation, und die Schauseite schafft Identität und Vertrauen.
Der Schlüssel liegt in der Balance. Wenn diese drei Seiten im Einklang sind, entstehen Organisationen, die nicht nur effizient arbeiten, sondern auch authentisch, flexibel und vertrauenswürdig sind. Wenn sie auseinanderdriften, drohen Ineffizienz, Misstrauen und Identitätsprobleme.