Impulse für einen anderen Blick auf Organisationen Teil 3
"Jedes Unternehmen bekommt die Kultur, die es verdient"
Unternehmenskultur ist eines der meist diskutierten Themen in Organisationen. Und auch eines der undurchsichtigsten. Für die meisten ist Kultur alles. Sie soll Innovation fördern, Zusammenarbeit verbessern, Talente anziehen und für ein produktives, motivierendes Arbeitsumfeld sorgen. Doch so oft sie thematisiert wird, so wenig treffen die Diskussionen den wahren Kern der Mechanismen einer Kultur. Der häufigste Irrtum in der Diskussion um Unternehmenskultur ist die Annahme, dass sie sich gezielt gestalten oder verändern ließe – als wäre sie ein Produkt, das man entwickeln oder eine Maschine, die man umrüsten könnte. Da werden Change-Initiativen initiiert noch und nöcher und die nächste Kuh durchs Dorf getrieben, bis sie an Herzversagen stirbt und der Hirte wieder einmal enttäuscht zurück bleibt.
Doch Organisationen sind keine Maschinen, so sehr sich die klassische Berater-Industrie und manches Management auch bemüht. Sie sind keine komplizierten Systeme mit vorhersehbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, sondern hochdynamische soziale Systeme – also komplex. Das bedeutet, dass jede Intervention in eine Organisation nicht linear wirkt, sondern sich auf unvorhersehbare Weise entfaltet. Die Kultur eines Unternehmens ist daher kein direkt steuerbares Element, sondern das Ergebnis eines sich selbst verstärkenden Kommunikations- und Entscheidungssystems.
Kultur nicht das, was sich ein Unternehmen wünscht oder das Management festlegt, sondern das, was sich durch wiederkehrende Kommunikation, Entscheidungsmechanismen und Strukturen immer wieder selbst erzeugt. Ein Unternehmen „verdient“ sich also genau die Kultur, die es durch sein eigenes Verhalten erschafft – nicht durch seine Absichten, sondern durch seine tägliche Praxis.
Um Kultur in Unternehmen verstehen zu können, braucht es ein besonderes Werkzeug. Dieses Werkzeug ist die Systemtheorie. Doch was bedeutet das konkret? Schauen wir uns die vier systemtheoretischen Grundsätze zur Kultur in Organisationen an.
1. Kultur entsteht durch wiederkehrende Kommunikation – nicht durch Absicht
Unternehmenskultur ist kein bewusst gestaltetes Artefakt, sondern ein emergentes Phänomen. Sie entwickelt sich aus den Kommunikationsmustern und Entscheidungsprozessen, die sich in einer Organisation über die Zeit etabliert haben. Sie ist das „Gedächtnis“ der Organisation, gespeist aus der täglichen Interaktion ihrer Mitglieder.
Ein zentrales Missverständnis ist die Annahme, dass Kultur sich durch strategische Entscheidungen oder ein klares Managementziel gezielt verändern ließe. Doch Organisationen folgen keiner linearen Kausalität. Man kann nicht einfach einen Hebel umlegen und erwarten, dass die Kultur sich anpasst.
Das bedeutet:
- Kultur ist nicht das, was ein Unternehmen in Leitbildern formuliert, sondern das, was sich im täglichen Kommunikations- und Entscheidungsverhalten manifestiert.
- Organisationen „verdienen“ ihre Kultur, weil sie durch ihre eigenen Mechanismen genau diese Kultur kontinuierlich reproduzieren.
Beispiele aus der Praxis:
- Ein Unternehmen, das Entscheidungen durch langwierige Gremienprozesse schleust, entwickelt zwangsläufig eine Kultur der Absicherung und Entscheidungsverzögerung.
- Ein Unternehmen, das schnelle, kreative Problemlösung zulässt, entwickelt eine Kultur der Eigenverantwortung und Innovation.
- Ein Unternehmen in dem das Management eine Vertrauenskultur ausruft und propagiert, nur um dann durch Kontrollmechanismen jegliches Entstehen von Vertrauen erstickt.
Kultur ist kein Planungsziel, sondern das, was Organisationen durch ihre täglichen Strukturen und Routinen immer wieder selbst erschaffen.
2. Kultur reduziert Unsicherheit – und wird dadurch stabil
Organisationen bewegen sich in einem Umfeld voller Unsicherheiten → Markt = relevante Umwelt. Die Anzahl möglicher Handlungsoptionen ist unendlich, und um in diesem Chaos handlungsfähig zu bleiben, braucht es gemeinsame Orientierungspunkte. Kultur ist eines dieser Orientierungsangebote. Sie reduziert Komplexität, indem sie Erwartungen stabilisiert, Routinen etabliert und soziale Normen schafft.
Doch genau diese stabilisierende Wirkung macht sie auch träge. Je länger ein bestimmtes Muster existiert, desto mehr verstärkt es sich selbst.
Das bedeutet:
- Unternehmen „verdienen“ ihre Kultur, weil sie sich im Laufe der Zeit auf bestimmte Sinnangebote (z. B. „Wir sind innovativ“ oder „Hierarchien sind wichtig“) festlegen, um stabil zu bleiben.
- Ist eine Kultur erst einmal etabliert, verstärkt sie sich selbst – weil immer wieder nach denselben Mustern kommuniziert und entschieden wird.
Beispiele aus der Praxis:
- Wird in einem Unternehmen regelmäßig betont, dass Fehler vermieden werden müssen, entsteht eine Kultur der Risikoaversion und Bürokratie.
- Wird dagegen aktiv kommuniziert, dass Fehler Lernchancen sind, entwickelt sich eine Kultur der Experimentierfreude und Agilität.
- Wenn sie abends Ihr Unternehmen verlassen, dann können Sie ziemlich sicher sein, dass Sie am nächsten Morgen Erwartungssicherheit darüber haben, was Sie erwartet.
Kultur ist ein sich selbst stabilisierendes System – keine variable Größe, die nach Belieben verändert werden kann.
3. Kultur kann nicht direkt gesteuert werden – nur beobachtet und beeinflusst
In komplizierten Systemen lassen sich Veränderungen direkt steuern: Dreht man an einer Schraube, ändert sich das Ergebnis vorhersehbar. In einer Maschine kann man Prozesse optimieren und genau messen, wie sich eine Veränderung auswirkt.
Doch Organisationen sind komplexe Systeme. Das bedeutet: Sie entziehen sich direkter Steuerung. Kultur ist kein Produkt, das sich per Dekret verändern lässt. Sie entsteht aus Millionen alltäglicher Kommunikationsakte und lässt sich daher nicht einfach „umbauen“.
Das bedeutet:
- Unternehmen „verdienen“ ihre Kultur nicht durch Absicht, sondern durch ihre tägliche Praxis der Kommunikation, Führung und Entscheidungslogik.
- Kultur lässt sich nicht durch einen „Kulturwandel“-Workshop ändern, sondern nur durch nachhaltige Veränderungen in der Art und Weise, wie kommuniziert und entschieden wird.
Beispiele aus der Praxis:
- Ein Unternehmen predigt „flache Hierarchien“, aber faktisch müssen alle Entscheidungen über mehrere Eskalationsstufen abgesichert werden. Die Organisation bleibt hierarchisch – verdientermaßen.
- Ein Unternehmen wirbt mit „offener Kommunikation“, gibt aber nur selektiv Informationen weiter. Es entwickelt zwangsläufig eine Misstrauenskultur.
Kultur entsteht nicht durch Absichtserklärungen, sondern durch wiederkehrende Muster des täglichen Handelns.
4. Kultur ist träge – und schwer veränderbar
Kultur ist nicht einfach ein Set von Regeln, das man umschreiben kann. Sie ist tief in den Strukturen einer Organisation verankert und wird durch jeden Kommunikationsakt stabilisiert. Daher widersteht sie Veränderung – selbst wenn ein Unternehmen aktiv versucht, sie zu verändern.
Das bedeutet:
- Je länger eine bestimmte Kultur existiert, desto resistenter wird sie gegenüber Veränderung.
- Selbst wenn das Management eine neue Kultur will, bleiben alte Muster oft bestehen – weil Organisationen dazu neigen, sich selbst zu erhalten.
Beispiel:
- Ein Unternehmen will von einer kontrollierten Fehlervermeidungskultur zu einer agilen Innovationskultur wechseln.
- Doch wenn weiterhin Sanktionen für Fehler existieren und Entscheidungen.
Was bedeutet das für den Führungsalltag?
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Beobachten, statt verordnen: Statt Kultur „zu ändern“, sollten Führungskräfte erst einmal verstehen,
wie sie entstanden ist.
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Kommunikation gestalten: Die tägliche Art und Weise, wie kommuniziert wird, formt die Kultur viel stärker als jede Strategie.
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Verhaltensweisen vorleben: Wer eine Kultur etablieren will, muss sie leben.
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Entscheidungsmechanismen hinterfragen: Schnelligkeit und Agilität entstehen nicht durch Slogans, sondern durch Strukturen, die sie ermöglichen.