Die rote und blaue Welt des Cockpits - oder warum Niklas Luhmann ein guter Pilot ist
Dieser Artikel ist kein wissenschaftlicher Beitrag oder gar eine Studie. Es ist reine Erfahrung aus meinem Berufsleben, ein etwas anderer Blickwinkel auf die Systemtheorie gewürzt mit ein wenig Witz.
Der Titel des Artikels mag schon befremdlich klingen….Was hat Niklas Luhmann mit der Fliegerei zu tun? Und was mag mich getrieben haben, diesen Artikel und diese Querverweise von der Fliegerei zur Systemtheorie Luhmanns herzustellen.
Nun, in allen meinen Beiträgen versuche ich die Welt der Fliegerei mit der Welt der Führung und Organisationen zusammen zu führen und entsprechende Bezüge herzustellen um unter anderem zu zeigen, dass die Herausforderungen der Führung in der Wirtschaft denen im Militär sehr sehr ähnlich sind. Gleiches gilt für die Führungsprinzipien und Methoden. New Work und agiles Arbeiten existiert auch im Militär, so überraschend das dem ein oder anderen auch erscheinen mag. Ich habe in den vielen Jahren in denen ich in der Wirtschaft Führungspositionen inne hatte festgestellt, dass die Effekte und Mechanismen als auch Methoden durchaus vergleichbar sind. Teilweise haben wir sie in der Fliegerei nur stringenter und konsequenter ein- und umgesetzt. Da ich mich seit einiger Zeit aus Interesse und mittlerweile berufswegen mit der Systemtheorie und deren Anwendung in der Beratung auseinandersetze, lag bzw liegt es für mich nahe, auch einmal einen Versuch zu unternehmen, die Systemtheorie ins Cockpit eines Hubschraubers zu spiegeln. Denn sie hat selbst im Cockpit ihren berechtigten Platz.
Ein kurzweiliger Exkurs in die Welt der Hubschrauberfliegerei mit Niklas Luhmann.
Wer war Niklas Luhmann?
Niklas Luhmann war ein deutscher Soziologe und Gesellschaftsforscher der als bekanntester Vertreter der Systemtheorie gilt. Die Systemtheorie beschreibt auf ziemlich abstrakte Weise, wie Teams und Organisationen arbeiten bzw wie Menschen sich in diesen Verhalten. Diese Darstellung ist sicherlich stark vereinfacht, reicht aber für den Kontext dieses Artikels völlig aus.
Abgeleitet wurde durch Dr. Gerhard Wohland daraus eine Differenzierung im Unternehmenskontext zur Problemlösung in rote und blaue Probleme. Der Bezug auf Probleme ergibt sich aus dem Zusammenhang von Organisationen in Unternehmen und deren primäre Aufgabe Probleme zu lösen. Probleme lassen sich in blaue - grob beschrieben technische Probleme, kompliziert - und in rote - grob beschrieben dynamische nicht festgelegte Probleme, komplex - unterteilen. Es gibt Problemstellungen, die einen roten und einen blauen Anteil haben. Blaue Probleme lassen sich durch Wissen lösen (Prozesse) wohingegen rote Probleme auf Grund ihrer Komplexität nur durch Können (Information, Übung) gelöste werden können.
Und was bedeutet das für Unternehmen oder besser gesagt deren Organisationen?
Dynamik-robuste Unternehmen bzw Organisationen folgen nicht mehr dem klassischen Ansatz des Taylorismus. Vielmehr strukturieren sie sich so, dass sie möglichst schnell auf die Dynamik des Marktes reagieren können. Führung tritt in der Vordergrund die klassische Steuerungsphilosophie des Taylorismus verliert an Wirkung. In diesem Kontext steht auch die Aufteilung in blaue und rote Welten bzw Probleme. Es gibt hierzu einige gute Darstellungen im Internet. Siehe hierzu auch
www.dynamikrobust.com
oder auch
www.intrinsify.de.
Was hat das Ganze mit der Fliegerei zu tun?
Wer Hubschrauber fliegen will, muss den Hubschrauber dazu bringen, genau dieses zu tun. Jeder Hubschrauber ist im Grundsatz ähnlich konstruiert und basiert auf dem Prinzip eines Kraftaufwandes um Gravitaion und Luftwiderstand zu überwinden. Dazu bedarf es Energie in From von Verbrennung in einem oder mehrerer Triebwerke. Wer die Technik des Hubschraubers nicht kennt, der wird recht bald und zwangsläufig überrascht. Es entsteht also das Problem den Hubschrauber dazu zu bewegen, den Boden kontrolliert zu verlassen und seine Besatzung dabei nicht umzubringen. Anhand dreier Beispielsituationen können wir zwischen blauen und roten Problemen unterscheiden.
Beispiel 1
Der Versuch die Triebwerke des Hubschrauber zu starten, wird ich nicht gelingen, wenn das dazugehörige Wissen nicht vorhanden ist. Mit Können hat das Starten der Triebwerke nichts zu tun. Das Anlassen der Triebwerke ist zwar nicht trivial aber dennoch technisch klar und eindeutig beschreibbar und damit nur kompliziert und beherrschbar. Technisch und physikalisch lückenlos und nachvollziehbar beschreibbar ist es ein blaues Problem. Gelöst wird dieses Problem - Anlassen der Triebwerke - durch das Wissen welches in Form eines Prozesses - hier die Checkliste zum Anlassen der Triebwerke - konserviert wurde. Das Wissen steht der Organisation Besatzung also zur Verfügung.
Dieses gilt im Übrigen für den gesamten Ablauf bis zum eigentlich Abheben des Hubschraubers vom Boden. Alle bis dahin zu lösenden Probleme, Anlassen der Triebwerke, Systemchecks etc., sind technische einwandfrei und lückenlos beschreibbar und damit nur kompliziert und beherrschbar. Keinesfalls, gleichwohl es Aussenstehenden bei der Beobachtung des Geschehens so erscheinen mag, sind diese Probleme dynamisch, überraschend und komplex und damit unbeherrschbar. Gut zugegeben, wenn ich mich an meine Ausbildung zurück erinnere, dann erschien mir damals durchaus die Technik der Systeme als unbeherrschbar. Das lag aber wohl mehr an meinen Vermögen bzw damaligen Unvermögen die Dinge zu greifen. Aber sie bergen grundsätzlich keine Überraschungen. Wir befinden uns also in der tiefblauen Welt der Problemlösungen.
Dieses ändert sich schlagartig in dem Moment, in dem wir den Hubschrauber vom Boden abheben lassen. Besser gesagt zwingen wir den Hubschrauber den Boden zu verlassen. Im Gegensatz zu Flugzeugen mit denen Sie in Ihren Sommerurlaub fliegen, will ein Hubschrauber eigentlich nicht fliegen. Er muss dazu gezwungen werden. Aber zurück zur roten Welt.
Beispiel 2
Die Aerodynamik und Flug eines Hubschraubers ist voller Überraschungen, hoch dynamisch und komplex. Sie kann nicht vollends theoretisch beschrieben und vorhergesagt werden. Damit ist die Bedingung der roten Welt der Probleme erfüllt und wir müssen uns etwas anderes als Prozesse und Verfahren überlegen, um das Problem “Wie halten wir den Hubschrauber in der Luft ohne zu sterben” zu lösen. Dieses geht, wie wir ja bereits gelernt haben, rote Probleme sind nur mit Können lösbar, nur mit Können des Piloten. Dieses Können hat er/sie sich über lange Zeit durch Üben angeeignet. Es ist wie Fahrradfahren, der Grund warum Sie nicht umfallen ist, dass Sie intuitiv die richtigen Maßnahmen treffen, Ihr Körper reagiert ohne das Sie darüber nachdenken müssen. Sie nutzen Ihr Talent , Ihr Können, um Rad zu fahren. Gleiches gilt für das Fliegen eines Hubschraubers. Talent und Können, zugegeben vielleicht länger geübt als das Rad fahren, führen dazu, dass wir vom Boden abheben und nicht abstürzen.
Auch das Zusammenspiel der Besatzung basiert auf der Differenzierung von roter und blauer Welt. Vieles im Cockpit ist durch Prozesse (sogenannte Verfahren und auch Checklisten) geregelt und die dazugehörigen blauen Probleme sind gelöst. Dazwischen gibt es jedoch einige rote, hochdynamische Bereiche, wie z.B. eine taktische Lage im Einsatz. Diese ist dynamisch, voller Überraschungen und kann daher nicht mit Prozessen gelöst werden. Sie besteht aus vielen verschiedenen Teilen z.B. Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber etc.. Diese werden überwiegend von Menschen geführt bzw gesteuert. Also sind wir hier wieder im Bereich sozialer Systeme alla Systemtheorie. Das Verhalten dieser Menschen in dem sozialen System “Einsatzlage” ist, Sie werden es ahnen, komplex und nicht eindeutig vorhersehbar. Gleichwohl natürlich auch die taktische Lage meist einer Strategie unterliegt, die durch Prinzipien ( z.B. die Rules of Engagement) begrenzt wird, ergibt die reine Anwendung dieser Prinzipien keine eindeutige Vorhersagbarkeit. Es gibt ein Ziel aber keinen festgelegten Weg dieses zu erreichen. Auch wenn es blaue Anteile bzw blaue Lösungsangebote in Form von taktischen Verfahren gibt, lässt sich eine taktische Einsatzlage nicht voraussagen. Sie ist voller Überraschungen.
Hier kommt es also wieder auf Können und Intuition der beteiligten Menschen zb der Besatzung an, möglichst Lösungen zu finden und flexibel auf die sich ständig ändernde Lage zu reagieren. Wieder sind wir in der roten Welt.
Beispiel 3
Irgendwann geht jeder Einsatz zu Ende. Spätestens wenn der Kraftstoff zu Neige geht, muss an die Rückkehr gedacht werden. Die Landung ist, wie das Abheben auch, ein rotes Problem welches es zu lösen gilt. Und je nach Wetterlage kann dieses rote Problem ein durchaus beängstigendes Problem darstellen.
Ergo, es ist wieder an der Zeit auf das Können des Piloten zu vertrauen und zu hoffen, dass dieses Können durch genug Training in den vergangenen Monaten auf ein ansprechenden Niveau gehoben wurde. In den meisten Fällen ist das so. Gelandet heißt es in gewohnter Manier “back for Tea and Medals”. Das Abstellen der Triebwerke nach der Landung ist wiederum ein blaues Problem und wir greifen da beruhigend zur Checkliste (Prozess).
Die Nachbesprechung nach der Landung ist zwar nirgendwo festgeschrieben, steht in keiner Checkliste etc. jedoch ist es ein ungeschriebenes Gesetzt. Die Systemtheorie lässt abermals grüßen und verabschiedet sich damit zum Mittelwächter in die O-Messe (was das alles zu bedeuten hat, erkläre ich in einem der nächsten Beiträge).
Warum nun das ganze Tram Tram?
Natürlich sind die Beispiele bewusst plakativ gewählt. Und doch steckt ein durchaus ernster Hintergrund in dem Ganzen. Die Moral der Geschichte ist, die Systemtheorie ist allgegenwärtig und, sie funktioniert. Selbst in der Welt des Militärs und der durch mich selbst erlebten Hubschrauberfliegerei ist sie präsent. Daher sollte dieser Artikel ein anderen Blick auf “meine” Fliegerei und die Systemtheorie bieten. In der Hoffnung, neue Denkanstöße zu geben. Es lohnt sich ein näherer Blick auf die Mechanismen und deren Bedeutung für die heutigen Organisation bzw Unternehmen. Der ständige Ruf nach mehr Effizienz scheint ein naheliegendes Bedürfnis zu sein. Trägt Unternehmen aber nicht in die Zukunft. Vielmehr sind Antworten auf die hohe Dynamik zu geben. Diese sind aber mit klassischen Denkmustern nicht zu entwickeln.
Und wenn das Militär die Systemtheorie umsetzt, dann kann bzw sollten das moderne wirtschaftliche Unternehmen doch allemal, oder nicht?
Vielleicht haben Sie diesen kleinen Beitrag mit Vergnügen gelesen. Vielleicht haben Sie auch den Kopf über soviel Unsinn geschüttelt. Aber, mit etwas Glück regt es Sie auch an, die bekannten Pfade zu verlassen und die Organisation Ihres Unternehmens neu zu denken.
Wie immer Sie diesen Beitrag auch wahrgenommen haben, eines erscheint mir jedoch sicher, Niklas Luhmann wäre ein guter Pilot geworden ;-)....