"Der Markt vergisst nichts" – Warum echte Veränderung von außen kommt

Mike Hoofdmann • 15. April 2025

Unternehmen lieben den Wandel? Nein, nicht so richtig!

Meist kommt der Wandel über das Entwicklungsstadium einer PowerPoint-Präsentation nicht hinaus. Da stehen dann große Worte wie Transformation, Agilität, Kulturwandel. Es werden Leitbilder entworfen, neue Werte definiert und Workshops geplant, in denen alle gemeinsam beschließen, ab morgen anders zu arbeiten. Offener. Schneller. Innovativer.

Leider währt aller guter Vorsatz nur kurz. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich diesen Ablauf als Führungskraft in einem Unternehmen nicht nur erlebt habe, sondern auch selbst so propagiert habe – aus Mangel an besserem Wissen.

Doch wenn wir ehrlich sind, bleibt vieles davon nur schöne Symbolik. Manchmal sogar gut gemeinte Selbsttäuschung. Denn auch wenn intern alles auf „Change“ getrimmt wird, wirklich verändern tun sich Unternehmen durch dieses Vorgehen selten.

Als ich als CEO ein Unternehmen geleitet habe, musste ich feststellen, dass Organisationen sich nicht verändern, nur weil man eine mitreißende Rede hält. Ich konnte appellieren, so viel ich wollte – das Unternehmen als Organisation änderte sich nur, weil der Markt es dazu zwang. Und auch das nur mit Widerstand. Den Grundsatz, dass Organisationen als autopoietische Systeme einen hohen Veränderungswiderstand erzeugen, musste ich am eigenen Leib erfahren.


Nur der Markt kann Veränderungen erzwingen


Die Illusion des freiwilligen Wandels

Aus systemtheoretischer Sicht betrachtet, sind Organisationen geschlossene, selbstreferenzielle Systeme. Sie funktionieren nach ihren eigenen Regeln, beobachten sich selbst, entscheiden nach internen Logiken, lieben das, was sie kennen. Sie reproduzieren ihre Strukturen durch Kommunikation.

Organisationen tun, was sie schon immer getan haben – solange sie können. Und sie ändern nur, was sie ändern müssen.

Wenn es also heißt: „Wir brauchen eine neue Kultur!“, bedeutet das in der Praxis oft: „Wir hätten gerne das Gleiche wie bisher, nur mit etwas mehr Glanz.“ Oder: „Wir wollen etwas anderes – aber bitte nicht zu unbequem.“


Unternehmenskultur: Ein Produkt der täglichen Routinen

Kultur ist kein Steuerungsinstrument. Kultur ist das Ergebnis dessen, was in einem Unternehmen täglich gesagt, entschieden und getan wird.

Man kann sich keine Vertrauenskultur wünschen, wenn man gleichzeitig neue Kontrollsysteme einführt. Man kann keine Innovationskultur erwarten, wenn jeder Vorschlag durch fünf Hierarchiestufen genehmigt werden muss. Man kann keine Lernkultur fördern, wenn Fehler sofort eskaliert und sanktioniert werden.

Was Organisationen tun, ist das, was sie sind. Und sie verändern sich nicht durch Wunsch – sondern durch Notwendigkeit.


Der Markt als gnadenloser Change-Manager

Diese Notwendigkeit kommt in fast allen Fällen von außen. Und zwar aus dem Markt – der relevanten Umwelt des Unternehmens, dessen Reize nicht ignoriert werden können oder zumindest sollten. Auch dafür gibt es Beispiele, nicht wahr RIM.

Solange Kunden zufrieden sind, Umsätze stabil bleiben und die Konkurrenz nicht bedrohlich agiert, gibt es keinen zwingenden Grund, Dinge zu verändern. Der Laden läuft ja. So, wie er eben läuft.

Doch dann! Veränderungen im Markt.. Neue Technologien entstehen. Kundenerwartungen wandeln sich. Ein Wettbewerber denkt drei Ecken weiter und kommt plötzlich mit einer Überraschung um die dritte Ecke. Und plötzlich ist da Druck. Extern, spürbar, nicht ignorierbar.

Jetzt kann Wandel passieren. Wenn, ja wenn…..


Die Kopplung an den Markt – warum Druck von außen Wirkung zeigt

Der Markt verändert Unternehmen nicht direkt. Er schickt keine Anweisungen, hält keine Keynotes – so wie ich damals als CEO. Und doch ist er oft der einzige Grund, warum Organisationen sich wirklich bewegen.

Warum?

Weil sie – wie der bekannte Berater und Psychiater Prof. Dr. Fritz B. Simon es beschreibt – strukturell an den Markt gekoppelt sind.

Diese Kopplung bedeutet:

  • Organisationen sind autonom. Sie entscheiden selbst, wie sie handeln.
  • Aber sie können nicht entscheiden, ob sie handeln, wenn sich der Markt bewegt.
  • Der Markt kann die Organisation nicht steuern, aber er kann sie irritieren , bis sie sich selbst steuert, um Anschluss zu behalten.

Oder einfacher gesagt: Der Markt ist wie das Wetter. Du kannst es nicht ändern, aber du kannst entscheiden, ob du mit Regenschirm rausgehst oder klatschnass wirst.


Drei Beispiele, die jeder kennt

Kodak war einst der König der Fotografie – bis man die Digitalisierung verschlief. Die Erkenntnis kam nicht aus dem Unternehmen heraus. Sie kam, als es zu spät war.

Nokia dominierte den Mobilfunkmarkt – und scheiterte daran, die Relevanz des Smartphones zu erkennen. Nicht interne Prozesse brachten die Wende, sondern der Markt, der sich einfach in eine neue Richtung bewegte.

RIM – Research in Motion – war der Vorreiter in Sachen Business-Phones, bis Apple das Thema mit dem IPhone auf ein völlig neues Niveau katapultierte. 2008 gab RIM das Geschäft auf. In nur einem Jahr verlor RIM die Marktdominanz an Apple.

Der Markt ist kein Planungsinstrument, er ist ein existenzieller Realitätstest. Wenn man ihm den zuhört!


Veränderung beginnt nicht mit Einsicht, sondern mit Druck

Natürlich gibt es auch interne Initiativen. Natürlich entstehen Innovationen auch im Kleinen. Aber die Regel bleibt: Solange es keinen äußeren Zwang gibt, bleibt die Organisation sich selbst treu.

Denn intern bedeutet Veränderung:

  • Verlernen.
  • Unsicherheit.
  • Neue Machtverhältnisse.
  • Konflikte.

Und warum sollte man sich das antun, wenn alles noch irgendwie funktioniert?


Was heißt das für Führung?

Wer Unternehmenskultur ernsthaft verändern will, muss begreifen: Man kann sie nicht anordnen – man kann nur an den Rahmenbedingungen arbeiten, die ihre Entstehung begünstigen. Und diese Rahmenbedingungen ändern sich dann, wenn sich der Markt verändert.


Zwei Empfehlungen für Führungskräfte: Wie man die Kopplung zum Markt stärkt

Wenn Organisationen sich nur unter echtem Umwelt-Druck verändern, dann liegt eine zentrale Führungsfrage auf der Hand:

Wie können wir dafür sorgen, dass dieser Druck schneller, klarer und wirksamer bei uns ankommt – bevor es zu spät ist?

1. Den Markt regelmäßig in den Mittelpunkt rücken und nicht nur bei der Jahresplanung

In vielen Unternehmen ist der Markt so präsent wie das Faxgerät – irgendwie da, aber selten wirklich in Gebrauch.

Deshalb:

  • Holt Kunden, Wettbewerbsbeobachtungen, Technologietrends nicht nur ins Marketing, sondern tiefer ins Unternehmen.
  • Führt regelmäßig Formate ein, in denen Vertrieb, Service, Produktentwicklung oder Partner erzählen dürfen, was sie draußen hören – ohne PowerPoint, aber mit Gehör.

Warum das hilft: Das erhöht die Irritationsfähigkeit der Organisation. Schwache Signale werden schneller wahrgenommen und können zu internen Bewegungen führen, bevor sie zur Krise werden.


2. Entscheidungskompetenz dorthin geben, wo die Irritation spürbar wird

Dr. Gerhard Wohlland beschreibt Organisationen als Systeme mit einem Zentrum und einer Peripherie. Während das Zentrum oft in Prozessen und Planung vertieft ist, steht die Peripherie an der Front – im Kontakt mit Kunden, Problemen, Echtzeitmarkt.

Und genau da sollte mehr Entscheidungsspielraum hin:

  • Empowerment ist kein nettes Buzzword – es ist strukturelle Notwendigkeit.
  • Wer nur zentral entscheidet, entscheidet oft zu spät – und an der Realität vorbei.

Warum das hilft: Nur wer die Irritation spürt, kann wirklich angemessen reagieren. Die Organisation bleibt handlungsfähig – nicht weil sie schneller denkt, sondern weil sie dort denkt, wo’s wehtut.


Der Markt ist der eigentliche Veränderer, der Rest ist Reaktion

Unternehmenskultur lässt sich nicht anordnen. Sie ist das Produkt dessen, was täglich gesagt, entschieden und getan wird. Und sie verändert sich nicht durch gute Absichten, sondern durch Irritation – durch spürbaren Druck, meist von außen.


Nur der Markt bringt Organisationen wirklich in Bewegung.


Nicht weil er befiehlt, sondern weil er die Spielregeln verändert. Und weil Organisationen, wenn sie überleben wollen, nicht anders können, als sich selbst zu verändern.

Wer als Führungskraft heute handeln will, tut gut daran, nicht auf die nächste Krise zu warten, sondern aktiv die Kopplung zur Umwelt zu stärken:

  • Hört den Markt – nicht nur einmal im Jahr, sondern kontinuierlich.
  • Gebt denen Entscheidungsfreiheit, die den Markt als Erste spüren.


Denn am Ende gilt:

Der Markt klopft nicht höflich – er drückt. Die Frage ist nur: Öffnen wir rechtzeitig die Tür?